Malerei. Acryl auf Leinwand und Papier
21.03.2019 bis 31.03.2019
Domagkateliers, Halle 50, Margarete Schütte-Lihotzky Str. 30, 80807 München
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Die Bühne des Bildes
von Pravu Mazumdar
Text zur Eröffnung der Ausstellung – Give it a splash –
1. Dass man die Augen öffnen muss, bevor man ein Bild an- schaut, liegt auf der Hand. Doch muss man zuvor – noch mit geschlossenen Augen – eine weitere Aufgabe erfüllen. Man hat die Klischees einzukesseln und vorerst auszuschalten, die bereits im Vorhof der Wahrnehmung lauern. Das sind Vorurteil und Erwartungen, die etwa kunsthistorische Kategorien wie Expressionismus oder biographische Schubladen wie malende Schauspielerin umfassen. Hat man aber einmal die Augen aufgeschlagen und das Bild wahrgenommen, so meldet sich die dritte Aufgabe: Man hat den Anteil der Klischees, der vom Blick bestätigt wurde, wieder zuzulassen.
2. Form und Kraft sind keine Gegensätze, sondern eher unterschiedliche und unterscheidbare Positionen auf einer Skala der Steigerungen. Denn „das Schöne“, sagt Rilke, „ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch gerade ertragen, … weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören.“ In der Ferne erscheint ein Wasserfall als Form und Bild, in der Nähe hingegen als Kraft, die uns anstandslos zerschmettern kann. Form und Kraft entsprechen unterschiedlichen und inkompatiblen Ansichten vom gleichen Gegenstand.
3. Der tanzende Körper zeichnet mit den Füßen Formen auf den Boden. Mit einem Pinsel in der Hand kann er andersartige Formen zeichnen: an eine Wand, eine Leinwand, an mehrere Leinwände. Was geschieht aber zuerst? Ist die Bewegung zu- erst da und dann die Form? Oder zuerst eine choreographische Vision und dann die Bewegung und dann die Form? Oder werden Bewegung und Form von einer Kraft wie der Musik ausgelöst? Oder ist jede Wirklichkeit eine Art von verallgemeinerter Musik, die auf uns wirkt und uns die Füße und eventuell auch einen Pinsel bewegt? Damit erscheint das Bild als der Endpunkt einer Verkettung von ineinander greifenden Elementen wie Welt, Körper, Bewegung, Form. Das Bild ist nicht mehr eine Nachahmung des Wirklichen, sondern eine Übersetzung. Es dokumentiert, dass die Kraftlinien des Wirklichen im sensomotorischen Medium des Körpers gebrochen wurden.
4. Ausgangspunkt der Arbeiten von Carola von Seher-Thoss ist zuweilen die freie und menschenferne Natur, die mit ihrer Gegenwärtigkeit und Erschütterungskraft vor einem ausgebreitet liegt, etwa als eine flammend rote Felslandschaft oder als die brandenden Wassermassen eines fernen Ozeans oder als das ausladende Grün eines Redwoodwaldes. Später können mithilfe eines Fotos die visuellen, akustischen, taktilen, olfaktorischen Reize der ursprünglichen Begegnung wiederbelebt werden: als Blitze der Sinnlichkeit, die in den malenden Körper eindringen und zu großen, schwingenden Bewegungen werden, die sich schließlich als Pinselstriche an großen, an die Atelierwände gestützten Leinwänden niederschlagen.
5. Die äußere Natur tritt also oft als das erste Bild in Erscheinung, indem es durch das Kameraauge zieht und Wirkungen zeitigt, die den Körper durchdringen und sich als Tanz und Bewegung artikulieren, die Bewegung der malenden Hand, vor allem, die den Pinsel führt und, vom Tanz getragen, das zweite Bild hervorbringt, das als ein Satz von zwei oder drei großen, von kraftgeladenen Pinselstrichen maskierten Leinwänden entsteht, bis die wellenartige Bewegung des Körpers, der Hand, der Pinselführung an einer Reihe kleinerer Papierblätter aus- schwingt, um nach der Atemwende der Welle erneut zu keimen, zu wachsen und neue Pinselstriche an den Bildträgern zu hinterlassen. Damit haben wir eine zyklische Verkettung von Wirkungen und Verwandlungen: Die Natur bewirkt das fotographische Bild, das den Körper mit Wirkungen durchdringt und in eine Bewegung versetzt, die die Pinselführung auslöst und am Ende erneut ein Bild ergibt.
Zuweilen aber kann der Vorgang der Bildwerdung auch von einem tief in der Seele verankerten Stimmungsbild ausgelöst werden, das schrittweise die Züge einer inneren Landschaft offenbart, in der etwa ein schmaler Weg durch dichtes Gestrüpp führt und sich allmählich im Grünen verliert. Oft lassen sich solche Traumbilder in der Begegnung mit wirklichen Landschaften wieder- erkennen, die dann über Fotographie und Tanz zu den Pinselstrichen führen.
6. Damit verwandelt sich der Raum vor den leeren Leinwänden in eine seltsame Bühne, auf der der Tanz des Malens entstehen und in mehreren Wellen über die aufgestellten Leinwände hin- weg schwappen kann. Hat sich diese erste Bewegung einmal beruhigt, so zieht sich die Malerin in einen Abstand zurück, von dem aus ihr ruhender Blick die gerade entstandenen, noch schwärmenden Pinselstriche aufnehmen kann, ihr Körper erneut in Bewegung gerät, sich wieder den Leinwänden nähert und einen erneuten Wolkenbruch der Pinselstriche direkt über der Bildträgerfläche verursacht. Allmählich werden die Bilder im Zyklus von Ruhe und Bewegung zur Vollendung geführt.
Irgendwann, in einer unabsehbaren Zukunft, wird sich eine Betrachterin oder ein Betrachter in den Vorraum des Bildes stellen und eine andere Art von Bewegung in sich aufkeimen lassen.
Pravu Mazumdar, Essayist, Kulturtheoretiker, studierte Physik in Neu Delhi und München und hat an der Universität Stuttgart in Philosophie promoviert. Er schreibt auf Deutsch und Englisch. In seinen Büchern erstellt er Diagnosen der Moderne anhand von Themen wie Migration oder Konsumismus, oft auf der Grundlage der Ideen von Autoren wie Michel Foucault und Walter Benjamin. In vielen seiner Essays beschäftigt er sich mit dem zeitgenössischen Schmuck, den er als einen materiellen Ausdruck der Moderne behandelt.
Er publizierte unter anderem; Das Niemandsland der Kulturen (Berlin: 2011); Gold und Geist: Prolegomena zu einer Philosophie des Schmucks (Berlin: 2015); „Against Criticism“ (Parts I and II) in Art Jewelry Forum (Criticality series 6 and 7):